Feuernebel

 

Hier sind die ersten drei Kapitel des Romans:

 

Das Feuer

 

Im Tal brennt der Hof. Bis hier herauf kann man das Lodern der Flammen sehen. Daniel bildet sich ein, die Hitze des Feuers auf den Wangen zu spüren. Das Prasseln zu hören, mit dem es das Gebälk frisst. Was beides natür­lich nicht möglich ist.

      Daniel und die anderen sitzen auf einem von zwei Gra­nit­fel­sen. Wie gigantische Nasen bohren sich diese zwischen den Bäu­men hervor aus dem Wald. Daniel ist, als würde der Wind den bran­digen Geruch aus dem Tal bis zu ihnen treiben. Als würden die Nasenfelsen ihn aufsaugen. Daniel schaut zu, wie die Ge­bäude abbrennen. Er stiert in die Dun­kel­heit, aus der die roten Flam­men brechen; er möchte nichts von dem ver­passen, was sich im Tal abspielt. Dazu ist es zu be­deut­sam. Die Feuerwehr kommt viel zu spät. Nichts ist mehr auszurichten. Da wendet sich Daniel Markus zu. Die Wan­gen des Freundes sind nass und von Schmutz ver­schmiert. Markus weint stumm. Daniel sagt nichts. Er blickt wieder ins Tal. Der nächtliche Himmel über dem Hof lodert jetzt vor Flammen. Würde Daniel in der Nähe stehen, das Feuer würde sich sicherlich in seinen Augen spiegeln.

     Aber sie sind weit entfernt von dem Brandort. Sie sind gleich los gelaufen, ohne Zeit zu vergeuden. Sie sind gelau­fen, so schnell sie konnten. Erst oben im Wald haben sie Halt gemacht. Dann sind sie auf einen der Felsen geklettert, der guten Sicht wegen.

Dort sitzen sie die ganze Nacht. Erst am frühen Morgen brechen sie auf. Nebelschwaden kriechen unter den Felsen her­vor. Als würden sie steinernen Nasen erst jetzt den Brand­­geruch wieder ausatmen.

Teresa steht als erste auf. Sie legt Daniel die Hände auf die Schultern. „Wir müssen los.“

Er schaut zu ihr hoch. „Ich weiß.“

      „Vielleicht suchen sie nach uns“, sagt Markus leise.

     Es dämmert bereits. Die Feuerwehrautos stehen herum, es wird noch gelöscht. Aber der Kampf gegen das Feuer ist längst verloren. Der Hof ist eine schwarze Ruine. Der Frühnebel deckt die letzten schwelenden Reste zu.

Auf dem Berghang über dem Tal rauscht der Wind in den Kronen der Bäume. Es ist, als wäre die Natur in Auf­ruhr. Daniel, Teresa und Markus gehen über den runden Rücken des Felsens. Kaum betreten sie den Wald, ist es wieder Nacht und fast ganz still; das Rauschen ist eine weit entfernte Meeresbrandung. Mar­kus bleibt stehen. Teresa nimmt ihn an der Hand und zieht ihn mit sich. Daniel folgt ihnen in einigem Abstand.

Der Wald gibt ihnen Schutz. Aber Daniel hat das Gefühl, dass er oder das, was dahinter liegt, ihr Ge­fängnis werden könnte.

 

 

Bilder

 

Sie gehen den ganzen Tag. Sie folgen einem Bach, der durch den Wald fließt. So haben sie immer zu trinken. Sie folgen dem Bach fluss­aufwärts. Nur zweimal machen sie eine kurze Pause. Sie gehen, als hätten sie ein konkretes Ziel. Als wüssten sie, dass sie es gegen Abend erreichen wür­den. Doch als es finster wird, sind sie nirgendwo angekommen. Stattdessen suchen sie sich einen Schlafplatz. An einer moos­weichen Stelle legen sie sich hin. Daniel kann lang nicht einschlafen. Er hört Markus im Schlaf wimmern; einmal stöhnt er auf, schreit „Nein!“ Von Te­re­sa hört Daniel nichts. Erst spät schläft er selbst ein. Er träumt nicht, sein Schlaf ist leblos und schwarz.

In der Früh weckt ihn die Kälte. Sein Pullover und die Jeans sind feucht. Ihm kommt vor, als wären seine Haare von einer hauch­dünnen Eis­schicht über­zogen und ihn friert bis auf die Kno­chen. Er springt auf und läuft herum, um sich warm zu machen. Dann stellt er sich zum Pinkeln an einen Baum. Markus stelzt heran, als könnte er die Beine nicht abbiegen. Er stellt sich neben ihn. Einen Moment schaut er Daniel an. Er öffnet den Mund, als wollte er etwas sagen. Doch dann lässt er es bleiben. Daniel knöpft die Jeans wieder zu und wartet, bis Markus fertig ist. Teresa taucht hinter einem Busch auf. Das Frühstück fällt aus; ihr Auf­bruch war ja völlig planlos, sie haben nichts zu essen mitge­nom­men. Aber Daniel hat keinen Hunger. Wenn er nur ans Essen denkt, wird ihm übel. Es sind die Bilder aus der vergan­ge­nen Nacht, die er nicht aus dem Kopf kriegt. Solange diese Bilder sein Denken blockieren, wird Daniel nichts essen können. Er kann sich vor­stel­len, dass es den anderen ge­nauso geht wie ihm. Doch er fragt sie nicht danach. Wortlos brechen sie auf, ohne auch nur eine Vorstellung zu haben, wohin.

 

 

Seelenlos

 

Der Junge spielte im Hof, als er Durst bekam. Er rannte ins Haus. In Gedanken war er noch ein Welt­raumkrieger in geheimer Mission. Er wollte in die Küche. In seiner Vorstellung be­fand sie sich im Zentrum der Raum­station. Im Kopf des Jungen schallte der Rotalarm. Es hieß schnell sein, sich nicht von einem der Aliens überraschen lassen. Rasch rückte er einen Holzschemel zur Spüle. Er kletterte hinauf und drehte den Was­serhahn auf. Gierig trank er ein paar Schlucke. Er sprang vom Schemel, wischte sich mit dem Handrücken übers nasse Kinn. Dann lief er wieder aus der Küche. Der Rotalarm tönte immer noch. Er musste sich beeilen. Hatten ihn die Aliens erst einmal, würden sie kurzen Prozess mit ihm machen. Im Flur streifte er an der Garderobe, da fiel hinter ihm das Gewehr des Vaters zu Boden.

     Atemlos hielt der Junge inne. Hoffentlich hatte der Vater nichts gehört. Er bückte sich und hob das Gewehr auf. Es wog schwer für ihn, er musste es mit beiden Händen halten. Er biss sich auf die Unterlippe, als er zu den Garderoben­haken hochsah. Wie um Himmels willen sollte er dieses Ding nur wieder dort hi­nauf bringen?

Da wurde ihm das Gewehr aus den Händen gerissen. Der Jun­ge fuhr herum, er wollte sich aus dem Staub machen. Doch eine große, dunkle Gestalt versperrte ihm den Weg.

„Hab ich dich erwischt!“, schrie ihn der Vater an.

Er packte den Jungen an den Schultern. Sein Griff war hart, er tat ihm weh. Er zwang den kleinen Körper in Richtung Stie­genhaus. Der Junge kam sich vor wie in einem Schraubstock. Der Vater hob ihn hoch, bis die beiden Ge­sichter fast aneinander stießen. Der Atem des Vaters hüllte den Kopf des Jungen ein wie eine Wolke.

      „Pass nur auf“, schrie der Vater flüsternd. „Sonst bist du bald deine Seele los! Sonst lebst du ohne Seele wie ein Toter auf Erden!“

       Der Junge zitterte vor Angst. Er wusste, was der Vater damit meinte. Er wusste es nur zu gut.